Abbildung: GreensandBlues / envato.com
Unfrisierte Gedanken über den Alltag einer Idee
Man schwimmt bis an die Quelle immer gegen den Strom, mit dem Strom schwimmt Abfall…
Zbigniew Herbert
An sich könnte man die Anforderungen kurz fassen: Sei aktiv.
Aber was heißt es, sei aktiv als Freimaurer? Beteilige dich am Vereinsleben? Beteilige dich am Leben der Gesellschaft als Freimaurer? Als Mitglied des Vereins bringe ich mich dort ein, wo meine tätige Hilfe erwartet oder verlangt wird. Was bringe ich als Freimaurer der Gesellschaft, das sie bislang nicht hat oder woran es mangeln würde und was über die Pflichten eines Bürgers hinausgeht? Was kann die Freimaurerei der Gesellschaft noch geben? Es ist, wie mit einem Geburtstagskind, das alles hat und dem etwas zu schenken, als überflüssig erscheint. Überflüssig? Sind die freimaurerischen Ideale überflüssig? Es mag für die Gesellschaft gelten, für den Einzelnen eher nicht. Viele, fast alle Forderungen der Freimaurerei wurden erfüllt, in Gesetze umgewandelt, sind Alltag der Gesellschaft geworden. Und dies so sehr, dass sie sich dem Einzelnen und sich selbst entfremdet, entstellt und sinnentleert haben.
Also, was bleibt: aktiv werden!
Unsere Väter im Gründungsenthusiasmus bedienten sich vieler Symbole, bildlicher Metapher. Sie durchstöberten Rumpelkammern aller damaligen Religionen, Ikonographien, Überlieferungen und Traditionen. Aber sie haben nicht damit gerechnet, dass sich diese Metaphern abnutzen, entleeren und stumpf werden, wie die Küchenmesser meiner Mutter. Die Gäste in „Gans und Rost“ wollten zwar, dass die Lehren der Symbole unter das Volk gelangen und ihre aufklärerische Arbeit verrichten. Mehr noch, sie wollten die entzweienden Religionen an einen Tisch bringen – was auch für eine Weile gelang. Aber man ahnte damals die Massenmedien und ihre bleichende Wirkung auf den Verstand noch nicht. Wenn man in die freimaurerischen Kolonnen die Frage nach den Anfängen der Freimaurerei wirft, hallt es mit 1717 und der Gründung der Großloge von London zurück. Viele fügen noch den journalistischen Humbug von Baigent/Light und Knight/Lomas hinzu. Und es wundert nicht, denn einigen verleiht die Teilnahme an einem „geheimen“ und womöglich mittelalterlich und ritterlich unterfütterten Bund einen Adelsschlag und erlaubt, an langen Winterabenden zu träumen – von Kreuzzügen, Ritterorden, Lagerfeuern in der Wüste und den Huris in den himmlischen, blühenden Oasen, wie von einem Urlaub auf Mallorca. Die Halbstarken-Sehnsucht nach Abenteuer wird bedient und befriedigt. Heutzutage dringt mehr von der Straße in die Loge hinein, als von der Loge mit nach draußen genommen wird. Die Fragen: Woher kommt die Freimaurerei, was war und ist mit dem einen Symbol oder jenem Ritus wohl gemeint? werden durch Floskeln aus der Yellow Press gestillt. Überhaupt ist es in der heutigen Zeit, des bis in die Heuchelei uneingeschränkt freien Denkens, für das freimaurerische Proletariat schwer vorstellbar, dass einst das unabhängige Denken und die Treue zu eigenen Überzeugungen, obwohl weiter- und weltbildend, unter Umständen mit der Feuerstrafe belegt waren. Es hat sich auch eingebürgert, die historischen Vorgänge, ungeachtet damaliger Zustände, aus der heutigen Sicht zu interpretieren und zu beurteilen. In den Logen wird lieber über das Gassigehen mit den Dackeln diskutiert, als über Ramsays Versuch, das ritterliche Ammenmärchen in die Herkunftslegende der Freimaurer zu etablieren (zur Erinnerung – in seiner berühmten Rede von 1737 versuchte Ramsay die Johanniter als Freimaurerväter zu installieren; als das Vorhaben misslang, weil Johanniter damals wie heute immer noch existent waren, wechselte er zu längst ausgestorbenen Templerorden, was auch dank deren Verbindung zum Jerusalemer Tempel in den freimaurerischen Kram mit Salomos Tempel besser passte und griff. Dass dahinter die Tagespolitik und Machtgeplänkel standen, scheint außer Zweifel zu sein, aber wer, was und mit oder gegen wen? ist noch nicht ausreichend untersucht worden.)
Also, was bleibt …
Wenn das, was ich jetzt sage, jemandem bekannt vorkommt, irrt er nicht: Ich werde mich an die Phänomene der Sprache stützen. Schließlich ist auch die Freimaurerei mit ihrer pädagogischen Symbolik ein Teil der Kommunikation. Aber, so wie man überall hört und liest, die Freimaurerei sei keine Besserungsanstalt, sie will nur dem Einzelnen bei der Vervollkommnung quasi zur Hand gehen. Womit? Mit den Symbolen, Gleichnissen, Metaphern.
Also, was bleibt …
Also, was bleibt …
Wenn der Schotte seine kontemplative, nachdenkliche Zeit beendet hat und in die aktive, gestaltende Phase übergeht, dann ist die Frage nach seiner Vorbereitung mehr als berechtigt. Die Vernunft hat die Erde verkrümmen und zum die Sonne umkreisenden Himmelskörper werden lassen. Auch die Vernunft, die der Betonung seiner Kritikfähigkeit an sich nicht immer bedurfte, sozialisierte einst die Gesellschaft, unterstützte günstige gesellschaftliche Instinkte und katalogisierte die gewonnenen Werte in verpflichtenden Kodizes. So hat auch die Vernunft das Verb dulden und seine Derivate aus schierer Not gebären müssen. Das Verb ist auf den Umwegen mit der Toleranz verwandt, und obwohl die beiden Begriffe eigentlich das Gleiche bedeuten – ertragen, gelten lassen, zulassen –, werden sie heute doch mit unterschiedlicher Färbung und Nuancierung verwendet. Die von uns so hochgehaltene Toleranz verstehen wir eher als Großzügigkeit, Weitherzigkeit, als eine Geisteshaltung: vielmehr eine Herzensbildung. Und aus dieser zufriedenen Großmutigkeit ob erfüllter Nächstenliebe, verkennen wir nur zu gerne, dass dies nicht den eigenen Wertevorstellungen entspricht. Dass dies meistens zu den Kodizes unserer Vernunft im groben Widerspruch steht. Chronische Umgehung von Moral und Gesetz breitet sich, wie ein Krake aus, plündert die Toleranz und die Nächstenliebe. Macht keinen Halt vor Gewissen und Logen.