Zahlensymbolik spielt in der Freimaurerei eine besondere Rolle. Nun, vielleicht nicht für alle; manche deuten aus den Zahlen die Welt, verehren sie geradezu mystisch, andere interessiert es gar nicht und wieder andere sehen die Theorien gelassen oder sogar amüsiert. Unser Autor nähert sich dem Thema locker und mit interessierter Distanz.
Freimaurerei lebt von und mit Symbolen. Was immer schon dazu gehört hat sind Zahlen. Einige haben wir ständig vor Augen, andere tauchen nur kurz auf. Aber weiter drüber nachgedacht habe ich bisher eigentlich nie – und das möchte ich mit diesem kleinen Beitrag über Zahlen nachholen. Ich war erstaunt, wie tief man in ein überschaubar erscheinendes Thema wie ein paar Zahlen einsteigen könnte. Aber keine Angst, ich werde es nicht übertreiben und mit der Sieben aufhören.
Ganz einfach betrachtet könnte man mit der Null anfangen und ihr die Eins gegenüber stellen. Damit wären wir auch schon direkt beim binären System unserer heutigen Computer angelangt, mit denen die Welt umfassend erklärt und gelenkt werden kann. Für dieses System sind zwei Zahlen, also die Zwei, völlig ausreichend. Wir setzen das gleich mit dem Schwarz und Weiss unseres musivischen Pflasters und hätten die Welt beschrieben. Aber ganz so kurz wollte ich mich dann doch nicht fassen.
Nehmen wir die Sieben doch mal als Summe, im klassischen Fall bestehend aus der Drei und der Vier. Die Drei springt eigentlich jeden als besondere Zahl geradezu an: Unsere Welt besteht aus den drei klassischen Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig. Ebenso gehören die drei Raumdimensionen dazu: Breite, Länge und Höhe. Genau drei Punkte bestimmen eine Ebene – ein dreibeiniger Hocker kann niemals wackeln, ideale Bedingungen also. In der Farbwahrnehmung des Menschen gibt es die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau, aus denen sich alles zusammensetzt. Die Drei ist offensichtlich in unserer physischen Umwelt allgegenwärtig, ohne dass man besonders lange suchen muss. Aber auch im menschlichen Zusammenleben dominiert sie viele Zusammenhänge: drei Menschen sind die kleinste Gruppe, in der bei Abstimmungen eine absolute Mehrheit den Ausschlag für eine Entscheidung gibt. Und man landet auch ganz schnell bei grösseren Zusammenhängen: viele Zyklen werden als Dreiheit begriffen: Wachsen – Fruchtbarkeit – Vergehen, Kindheit – Erwachsenenalter – Alter, zunehmender Mond – Vollmond – abnehmender Mond. In der freimaurerischen Symbolik findet sich die Drei immer und überall wieder: die drei Reisen unserer Aufnahme sind das erste grosse Erlebnis. Als Lehrling, Geselle und Meister beschreiten wir unseren Weg. Die drei grossen und kleinen Lichter, drei Säulen, drei Hammerführende. Das alles erkennen wir auch bei den Religionen wieder, z.B. beim Christentum mit seiner Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Es gibt die heiligen Drei Könige, die Auferstehung Christi am dritten Tag und vieles mehr.
Drei und Vier – der zweite Summand ist auf den ersten Blick mathematisch erstaunlich. Die Vier ist die erste zusammengesetzte Zahl und damit die erste Nicht-Primzahl nach der Eins. Die Vier kann ich sowohl aus 2 + 2 als auch aus 2 x 2 zusammen setzen – eine Novität. Auch bei den Farben gibt es einen erstaunlichen Zusammenhang, der mit dem Vier-Farben-Satz beschrieben wird. Dieser besagt, dass vier Farben immer ausreichen, eine beliebige Landkarte in der Euklidischen Ebene so einzufärben, dass keine zwei angrenzenden Länder die gleiche Farbe bekommen. Hört sich simpel an, aber seit 1852 arbeiten sich ganze Mathematiker-Generationen an vermeintlichen Beweisen und Gegenbeweisen ab. Der Vier-Farben-Satz war das erste große mathematische Problem, das mit Hilfe von Computern gelöst wurde. Hardcore-Mathematiker erkennen das aber immer noch nicht an: ein solcher Beweis kann nämlich nicht direkt durch einen Menschen nachvollzogen werden und man muss sich auf die Korrektheit des Compilers und der Hardware verlassen. Auch in der belebten Welt kommen wir nicht ohne die Vier aus: wir selbst sind Tetrapoden, gehören also zu den Landwirbeltieren mit vier Extremitäten. Unsere Erbinformationen werden in der DNS weitergegeben, und die besteht aus genau vier Bausteinen: den Nukleobasen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Für die antiken Philosophen bestand die Welt aus den vier Elementen, denen wir auch heute noch in unserem Ritual begegnen: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Diesen vier Elementen hat man dann die vier menschlichen Temperamente zugeordnet: Choleriker (Feuer), Phlegmatiker (Wasser), Melancholiker (Erde) und Sanguiniker (Luft). Auch bei den Himmelsrichtungen taucht die Vier wieder auf, vor allem Osten und Westen sind uns aus dem Ritual wohlbekannt und werden vielfach bedeutungsschwer interpretiert. Ebenso waren die vier Jahreszeiten immer schon zentraler Bestandteil des menschlichen Lebens – zumindest in unseren Breitengraden. Die Vier als Zahl, die für das Irdische steht – vor diesem Hintergrund erscheint das eigentlich ziemlich naheliegend.
Aus der rechnerischen Verbindung der Zahlen Drei und Vier ergibt sich dann die im Christentum heilige Zahl Sieben, die Kombination der göttlichen Trinität mit den vier irdischen Elementen. Allerdings finden sich auch bei der Sieben selbst Äußerlichkeiten, die ins Auge fallen: So gibt es genau sieben Himmelskörper, die von der Erde als Zentralpunkt aus beweglich erscheinen und mit bloßem Auge sichtbar sind: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn.
Andere sichtbare Anknüpfungspunkte sind die sieben Öffnungen der menschlichen Wahrnehmungsorgane: zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, zwei Augen und ein Mund. Passend dazu kann man auch die menschlichen Sinne aufaddieren: die fünf klassischen sind zunächst Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Später wurden dann noch hinzu gezählt der Gleichgewichtssinn und die sogenannte Propriozeption (Fähigkeit zur Wahrnehmung des eigenen Körpers – zum Beispiel, mit geschlossenen Augen den Finger zur Nase führen). Wir merken schon: es gibt viele Möglichkeiten, auf diese Zahl zu kommen. Unabhängig von dieser Aufzählung kennen wir aber auch die Rede vom 6. Sinn, wenn Menschen von einer unerklärbaren Wahrnehmung sprechen. Und der 7. Sinn wurde mit den gleichnamigen Fernsehspots zur Verkehrssicherheit populär. Die wurde allerdings 2005 eingestellt, weil sie wohl nicht mehr dem Zeitgeist entsprach. Im deutschsprachigen Raum finden wir die Sieben auch im Alltagsgebrauch wieder, wenn wir eine Gesamtheit bezeichnen wollen. Zum Beispiel packen wir unsere Siebensachen zusammen oder fragen, ob jemand noch seine sieben Sinne beisammen habe.
Als Freimaurer-Meister sehen wir uns gerne am Reissbrett stehen und konstruieren. Das Siebeneck (auch Heptagon von griech. heptagon von hepta = sieben) ist eine geometrische Figur aus der Gruppe der Polygone (Vielecke). Es ist definiert durch sieben Punkte. Sofern nichts anderes gesagt wird, ist von einem ebenen, regelmäßigen Siebeneck die Rede, dessen sieben Seiten gleich lang sind und dessen sieben Eckpunkte auf einem gemeinsamen Umkreis liegen. Und dieses Heptagon zeigt dann dem freimaurerischen Zeichner seine Grenzen auf: ein regelmäßiges Siebeneck kann nicht mit Zirkel und Lineal konstruiert werden – es ist kein konstruierbares Polygon! Numismatiker denken bei einem Siebeneck vielleicht an die schöne Umschreibung „Spanische Blume“. Als Spanische Blume wird die Form einer Münze bezeichnet, die an eine Blüte erinnert. Sie weist sieben gleichmäßig am Rand verteilte Einkerbungen auf. Wegen der siebeneckigen Form gilt diese Münze numismatisch als „nicht rund“. Die 20-Cent-Münze ist die einzige Münze des Eurogeldes, die nicht rund ist. 10- und 50-Cent-Münzen gelten trotz ihrer Randkerbung numismatisch als „rund“. Die Bezeichnung Spanische Blume geht auf eine spanische 50-Peseten-Münze zurück, die ab 1991 geprägt wurde, um blinden und sehbehinderten Menschen die Unterscheidung von anderen Werten zu erleichtern.
Neben vielen vordergründigen Aspekten gibt es aber auch Bemerkenswertes aus der kognitiven Psychologie. John Locke hat schon vor dreihundert Jahren das sogenannte „seven phenomena“ beschrieben. Er untersuchte das Auffassungsvermögen von erwachsenen Menschen: Testpersonen, die eine große Anzahl von Gegenständen einen kurzen Augenblick lang sehen, haben bei bis zu sieben Objekten eine Trefferquote von fast hundert Prozent. Bei mehr als
sieben Gegenständen fällt diese Quote schlagartig ab. Wenn wir bis zu sieben Ziffern einmalig und kurz sehen, können wir diese kurze Zeit später fast fehlerfrei wiederholen. Werden es mehr Ziffern, funktioniert das nur noch äußerst selten.
Daraus wurde dann 1956 die Millersche Zahl: George A. Miller beschrieb die Tatsache, dass ein Mensch gleichzeitig nur 7 ± 2 Informationseinheiten (Chunks) im Kurzzeitgedächtnis präsent halten kann. Diese Größe des Kurzzeitgedächtnisses ist genetisch determiniert und kann auch durch „Training“ nicht gesteigert werden. (“The Magical Number 7, Plus or Minus Two: Some Limits on Our Capacity for Processing Information” Psychological Review, 1956, Band 63, Seite 81-97).
Das Altertum kannte noch keine Millersche Zahl, wohl aber die Sieben Freien Künste (septem artes liberales), ein Kanon von sieben Studienfächern. Frei wurden diese Künste genannt, weil man sie als „eines freien Mannes würdig“ betrachtete. Und das ist zunächst einmal rein wirtschaftlich zu verstehen: die Sieben Freien Künste taugten nicht zum Broterwerb, man musste sich das Ganze schon leisten können. Dieses Ganze wurde interessanterweise auch in drei und vier eingeteilt: das Trivium mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik sowie das Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.
Die Bedeutung, die wir gewissen Zahlen zuschreiben, steckt wohl tief in unserem Unterbewusstsein: fragt man nach einer Lieblingszahl oder nach einer beliebigen Zahl zwischen Eins und Neun ist die häufigste Antwort: Sieben. Weil gleichzeitig die Farbe „blau“ so häufig als Lieblingsfarbe genannt wird, spricht man auch vom „Blue-Seven-Phänomen“. Vielleicht hat die Sieben als Lieblingszahl aber auch mit unserer Glückserwartung zu tun: Wer sein Glück beim Würfeln sucht, kann sich auf die Sieben verlassen – beim Spiel mit zwei Würfeln muss sie zwangsläufig häufig vorkommen. Das hängt zusammen mit der Anzahl der Darstellungsmöglichkeiten. Die Sieben kann mit den sechs verschiedenen Kombinationen 1/6, 6/1, 2/5, 5/2, 3/4 und 4/3 dargestellt werden, während etwa die Zwei nur mit der Kombination 1/1 und die Zwölf nur mit der Kombination 6/6 darstellbar ist. Entsprechendes gilt für die anderen Ergebnisse.
In vielen Märchen, Sprichwörtern, Bauernweisheiten und Redewendungen findet sich bis heute die magische Sieben. Wir hören da von Siebenmeilenstiefeln, von sieben Raben und den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Das tapfere Schneiderlein erledigt sieben auf einen Streich und Sindbad, der Seefahrer des arabischen Kulturkreises, musste auf sieben Reisen Abenteuer bestehen. Eine hohe und durchgehende Bedeutsamkeit findet sich in der religiösen Welt, insbesondere im Christentum: Der Schöpfungsmythos der hebräischen Bibel beschreibt die Erschaffung der Welt in sieben Tagen, analog zu unserer heutigen Einteilung der Kalenderwoche. Das Vaterunser besteht aus sieben Bitten. In der Offenbarung des Johannes, einem Brief an sieben Gemeinden wird die Apokalypse vorhergesagt und die „sieben Posaunen“ läuten jeweils eine weitere Endzeit-Erscheinung ein.
Papst Gregor hat im siebten Jahrhundert die sieben Tugenden des Christenlebens postuliert: Glaube, Hoffnung und Liebe, Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Mäßigkeit. Die ersten drei versteht man als göttliche Tugenden, die letzten vier als Kardinaltugenden, die das sittliche Seelenleben regeln sollen. Im Katechismus der Katholischen Kirche stehen diesen Tugenden schließlich die sieben Todsünden gegenüber: Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut), Geiz (Habgier),
Wollust (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren), Zorn (Wut, Rachsucht), Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht), Neid (Eifersucht, Missgunst), Faulheit (Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens).
Dieser Kanon von 7 Tugenden und 7 Todsünden hat lange Zeit das Leben unserer Vorfahren bestimmt und ist auch heute noch von Bedeutung. Ein Regelwerk, das wohl für viele Menschen hilfreich war und auch noch ist. Aber auch ein Regelwerk, das machtpolitisch missbraucht werden kann und das viel Unheil mit sich brachte. Auf keinen Fall aber etwas, was man als gesetzt und unverrückbar akzeptieren sollte. Man muss nicht Mainstream und Zeitgeist das Feld
überlassen. Aber man darf eines nicht ausblenden: es spricht nicht ein Schöpfer zu uns, wenn es um die Fragen von Tugend und Sünde, Himmel und Hölle, Schuld und Vergebung geht – sondern Menschen.
In diesem Sinne: seid achtsam auf euch selbst!
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