Das Herz — unser zweites Gehirn

Uwe Muchow

14. Mai 2024

Foto: Tumisu / pixabay.com

Große Erfindungen oder Entdeckungen haben die Welt dramatisch verändert. Oftmals waren diese Entdeckungen für die Zeitgenossen so außergewöhnlich, dass ihnen die Anerkennung manchmal über Jahrzehnte, gar über Jahrhunderte versagt blieb.

Vorgeschichte:

Als ich in unserer Bauhütte junger Bruder war, gab es den Bruder Harry W. Harry war ein gutmütiger und sehr belesener, aber auch umtriebiger Bruder. Ungeduldig war er gegenüber den Brüdern, die seiner Vorstellung von Loge nicht sofort folgen wollten, die den neunten Lehrsatz aus dem Lehrbrief von Wilhelm Meister vielleicht gelesen, aber nicht verstanden haben. Er lautet:

Die Worte sind gut, sie sind aber nicht das Beste. Das Beste wird nicht deutlich durch Worte.

In Vorbereitung dieses Beitrags erinnerte ich mich an Br. Harry, weil er mich auch auf die philosophische Erkenntnis von René Descartes hinwies: Ich denke, also bin ich. Und ich war fasziniert von dieser Erkenntnis, die mich seitdem beschäftigt.

Demokrit erkannte bereits 500 v. Chr., dass es ein kleinstes unteilbares Teilchen geben musste und nannte es Atom. Erst im 19. Jahrhundert konnte man es beschreiben – auch wenn die Beschreibung durch Niels Bohr nur ein Denkmodell war. Dass die Erde sich um die Sonne dreht, postulierte Galileo Galilei – und bekam den Prozess gemacht. Das Weltall sei unendlich und das Universum ewiglich, erklärte Giordano Bruno und wurde darum bei lebendigem Leib 1608 in Rom verbrannt.

Mit der Aufklärung veränderte sich das Wissen um die Welt. Die Menschen suchten wissenschaftlich fundierte Begründungen, wie und warum die Welt funktioniert. Und so kam der Mathematiker René Descartes auf „seinen archimedischen Punkt“. Seine grundlegende Erkenntnis: „Ich denke, also bin ich“. Damit leitete er die nachfolgenden Wissenschaftler an, dass alles Wissen messbar und belegbar sein sollte. Auch für Immanuel Kant war diese Vorgabe der Wissenschaft unabdingbar. Er sagte: „Der Kopf regiert und kontrolliert den Menschen. Nur was mit dem Verstand erkennbar ist, kann auch real sein“. Allerdings, beide Denker waren, wie wir alle auch, Kinder ihrer Zeit. Die heutige Wissenschaft sieht das 300 Jahre nach Kants Geburtstag anders. Dem Satz: „Ich denke, also bin ich“, stellt sie den Satz „Ich fühle, also bin ich“ gegenüber. Nicht das Wissen, sondern das Gefühl regiert demnach darüber, wie der Mensch handelt.

Hoffentlich erfährt diese jetzt gemachte und wissenschaftlich schon bewiesene neue Erkenntnis eine schnellere Durchsetzung in der Menschheit. Begonnen hat dieses Umdenken schon vor rund 90 Jahren. Für den Begründer der Quantenmechanik, Werner Heisenberg, waren Physik und Philosophie untrennbar miteinander verbunden. Als gefährlich kritisiert Heisenberg die Spaltung zwischen Materie und Geist bei René Descartes. Vielmehr nähert sich Heisenberg dem griechischen Philosophen Platon, der davon ausging, dass in jedem Ding auch eine Idee sein muss. Und der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, der im Juli 1944 verstarb, lässt seinen kleinen Prinzen sagen: Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche bleibt dem Auge verborgen. Was steck hinter diesen neuen Gedanken? Nun, zunächst waren es Annahmen, die es zu beweisen galt.

Jüngere Forschungen rund ums menschliche Herz fördern jetzt atemberaubende Entdeckungen zutage und legen nahe, dass das Bewusstsein womöglich eine gemeinsame Leistung von Herz und Gehirn sein könnte.

Im Herzen, so die Forscher, ist eine neuronale Struktur angelegt, die der in unserem Gehirn ähnelt. Das Herz beeinflusst unsere Gehirnfunktionen. Und vom Herz geht ein Magnetfeld aus, das 500–5000 Mal stärker ist als das unseres Gehirns. Es ist ein Magnetfeld, welches das Nervensystem anderer Menschen beeinflusst und noch über bis zu acht Meter vom Körper entfernt messbar ist. Also auch, wenn wir in einer Gruppe beisammen sind, senden unsere Herzen Energie über bis zu acht Meter aus. Wir alle kommunizieren über unsre Herzen gerade, aktuell – ohne, dass wir es selbst direkt wahrnehmen. Neue Studien zeigen nicht nur, dass unser Herz selbst eine Art von Gehirn ist, sondern erklären sogar, wie es mit dem Gehirn kommuniziert und wie es unsere Wahrnehmung und Emotionen beeinflusst. Und sie geben einen verblüffenden Einblick in die wahre Macht unseres Herzens in unseren Beziehungen.

Das Herz scheint buchstäblich ein zweites Gehirn zu sein. Denn zum Erstaunen vieler Forscher enthält das hochkomplexe Nervensystem des Herzens etwa 40.000 Neuronen, die ein eigenständiges und vom Gehirn und unserem autonomen Nervensystem unabhängig agierendes Netzwerk bilden, das jedoch über vielfältige Wege in Kommunikation mit unserem Kopf-Gehirn steht. Über unterschiedliche Nerven sendet das Herz fortwährend Informationen an das Kopf-Gehirn und beeinflusst dadurch unsere Wahrnehmungen und mentalen Vorgänge. Interessant ist dabei, dass das Herz-Gehirn offenbar vollkommen eigenständig „denkt“ – unabhängig von Gehirn und Nervensystem. Und ebenso interessant ist, dass die Informationen von Herz zum Gehirn viel schneller fließen als die vom Gehirn zum Herzen. Was wirklich bedeutet, dass das Herz bereits seine Entscheidung über Sympathie oder Antipathie gegenüber Menschen, denen wir begegnen, schon lange getroffen hat, bevor unser Gehirn anfängt zu denken.

Das Nervensystem im Herzen ermöglicht es dem Herzen unabhängig von der Großhirnrinde zu lernen, zu erinnern und Entscheidungen zu treffen. Außerdem haben zahlreiche Experimente demonstriert, dass die Signale, die das Herz ununterbrochen zum Gehirn sendet, die höheren Gehirnfunktionen, die mit Wahrnehmung, Kognition und der Verarbeitung von Emotionen befasst sind, maßgeblich beeinflusst.

Eine noch viel erstaunlichere Entdeckung der Forscher am Institute of Heart Math ist aber das ungeheure Magnetfeld des Herzens: Die elektrische Komponente dieses Feldes ist etwa 60-mal stärker als die des Gehirns, die magnetische sogar bis zu 5000-mal und kann noch mehrere Meter vom Körper entfernt gemessen werden. Aber auch biologisch tut das Herz weit mehr, als nur zu pumpen: In den Achtzigerjahren wurde das Herz erstmals als eine Hormondrüse klassifiziert. Im Nervensystem des Herzens werden genau wie im Gehirn verschiedene Neurotransmitter und Hormone ausgeschüttet, die Einfluss auf den ganzen Körper haben. Noradrenalin, Dopamin und Oxytocin sind die wichtigsten dieser Hormone, wobei Oxytocin hauptsächlich deshalb interessant ist, weil es als das „Liebes-Hormon“ gilt, das maßgeblich Mutterliebe, Verbundenheit, Toleranz, Verständnis und soziales Verhalten beeinflusst.

Anders geht die Anthroposophin Christina Kessler an dieses Phänomen der Herzintelligenz heran. Sie stellte sich die Frage:

Was sind die gemeinsamen Grunderkenntnisse der Weisheitstraditionen, der Welt und der indigenen Völker?

Sie forschte dafür auf allen Kontinenten und erkannte, dass alle Weisheitstraditionen das Herz als das zentrale Organ für ein gesundes Leben ansehen. Nicht der materielle Körper und der Verstand, sondern die vom Herzen aufgenommenen und verarbeiteten Energien bestimmen im Wesentlichen den Umgang der Menschen untereinander. Wenn wir als Menschen die Qualität und Fähigkeit des Herzens annehmen, die es tatsächlich besitzt und diese nicht nur als romantisches Gefasel ansehen, können wir zu weit höheren Fähigkeiten im Zusammenleben kommen als bisher angenommen.

Sie ist sich einig mit dem Physiker und Empfänger des alternativen Nobelpreises, Hans Peter Dürr, der dazu in einem Interview sagte: „Die Biologen hängen immer noch im Materiellen fest“. Dürrs Thema sind die Schamanen, Hexen und Astrologen. Er beschäftigt sich mit der Frage, was ein Mensch der westlichen Zivilisation von alten Traditionen lernen kann. Während also die Physiker immer mehr erforschen, welche tatsächlich beeinflussende Funktion das Herz-Gehirn hat, stellen Dürr und Kessler gleichzeitig fest, dass das Herz die zentrale Rolle in allen Weisheitstraditionen einnimmt. Und das schon seit Jahrtausenden.

Der Greifswalder Herzchirurg Dr. Reinhard Friedel schreibt über ein weiteres Phänomen: Er habe hunderte Herzen während der Operationen in seinen Händen gehabt. Und es hat ihn erstaunt, dass er mit seiner Hand am Herzen gespürt hat, ob es ein weiches oder hartes Herz ist. Der geläufige und bis dahin unerforschte Satz: „Der Mensch hat ein hartes Herz“ ist also tatsächlich materiell überprüfbar.

Die letzte Frage, die sich mir stellte, lautete: Wie ist diese Wahrheit in unserem symbolbeladenen Arbeitsteppich verankert? Denn wir hören immer wieder: Der Teppich sei der Bauplan unseres Lebens. Da gibt Christina Kessler einen faszinierenden Hinweis, in dem sie schreibt, dass unsere bisherigen Denkmodelle für die moderne komplexe Welt zu einseitig geworden sind. Sie (die Denkmodelle) drängen nach Erweiterung und Integration – nach Integration der verschiedenen Weltkulturen und Religionen, nach Integration von Geist und Materie, von Gott und Mensch.  Mit diesem neuen Wissen kann die gesamte Menschheit reifen. Doch welches unserer Symbole zeigen diese Vereinbarung am deutlichsten? Es sind der rechte Winkel und der Zirkel? In der Teppicherklärung im 1. Grad heißt es: Winkelmaß und Zirkel sind die Symbole des irdischen und göttlichen Bauens. Miteinander verbunden symbolisieren sie die Vereinigung von Geist und Materie, Himmel und Erde.

Offensichtlich haben auch schon unsere freimaurerischen Väter dem Herzen mehr Beachtung entgegengebracht als ihre Zeitgenossen.

Und was ist nun mit Br. Harry geschehen?

Er hatte nicht die Geduld und Toleranz, die wir Freimaurer von unseren Brüdern erwünschen. Anstatt sich mit den Brüdern im brüderlichen Gespräch auseinanderzusetzen, zog er die Wanderschaft vor. Gekommen war er kurz zuvor aus der Lübecker Loge „Zur Weltbruderkette“. Und so wie er kam, ging er auch wieder, in eine andere Loge. Und das, obwohl wir ein ausgezeichnetes Verhältnis miteinander hatten. Nie habe ich mit einem Bruder so viele Briefe gewechselt, wie mit Harry. Ich glaube, hätte Harry mehr auf sein Herz, als auf seinen Verstand gehört, er wäre in der Loge verblieben.

Quellen/Literatur: Wikipedia; Das Herz, unser 2. Gehirn, David Rotter / sein.de

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