GoldenDayz / envato.com
Wenn die Welt dunkel wäre, ich könnte es mir gar nicht vorstellen. Welch ein Glück, dass dieser kleine Planet, die Erde, eine geradezu ideale Entfernung von der das Licht und die Wärme spendenden Sonne hat. Nur deshalb konnten sich Flora und Fauna entwickeln und später dann auch der Homo sapiens. Die Sonne, als der die Erde beleuchtende Stern, ermöglicht das Leben auf diesem Planeten.
Aber es gibt für uns Menschen und Freimaurer auch ein anderes Licht, das Licht, das der Mensch in sich trägt. Angeblich soll Goethe diese zwei Worte kurz vor seinem Tode gesagt haben: „Mehr – mehr Licht!“ Goethe war Freimaurer – folglich hat er für mich das freimaurerische Licht gemeint. Wir Freimaurer sind doch mit einem Licht nicht zufrieden. Bei uns gibt es 3 große und 3 kleine Lichter, aber das wichtigste Licht ist das, welches im Inneren des Freimaurers leuchtet und ihn warnt, wenn er etwas tun oder sagen will, das mit seinem Gewissen nicht vereinbar ist. Das zeigt uns, dass das Licht für den Freimaurer eine große Bedeutung hat. Auch die Beamten haben alle ein Licht auf ihren Tischen.
Wir betreten den Tempel als „Suchende“ mit verbundenen Augen und unvollständig bekleidet, denn das Licht des heiligen Tempelbezirkes darf uns nicht unvorbereitet treffen. Wir müssen Reisen überstehen und Wahrheiten erfahren, die, wenn der Kandidat offen für metaphysische Vorstellungen und Aussagen ist, eventuell ein kleines Licht in ihm entzünden, nicht sofort, aber im Laufe seines frühen Freimaurerlebens. Am Anfang des Johannesevangeliums, das aufgeschlagen vor dem Altar des Meister vom Stuhl liegt, ist es das Wort, das am Anfang der Welt als das Wort Gottes das Licht in das Leben der Menschen brachte.
Goethe meinte unter Zuhilfenahme des Faust, er könne das Wort so hoch nicht einschätzen, und einigte sich dann auf die Tat, als würdiges Wort Gottes. Der Faust weiß auch nicht, ob er vom Geiste recht erleuchtet ist; denn vielleicht war auch am Uranfang der Welt der Sinn entscheidend. Wir wissen nicht, welches Wort alle Dinge gemacht hat, einschließlich des Lebens der Menschen und des Lichtes, das die Finsternis nicht ergriffen hat. Die Bibel äußert sich da sehr kryptisch.
Die Wissenschaft erzählt uns, dass in Wirklichkeit der Urknall das Licht in die Welt brachte, aber niemand weiß, wer den Urknall auslöste, der uns die Quanten, die Atome, die Moleküle und schließlich durch die Evolution, auch alle Lebewesen brachte. Es ist die Naturwissenschaft, die uns erklärt, wie alles angefangen haben könnte. Was uns nicht bekannt ist, was wir gar nicht sehen, hören, fühlen oder denken können, ist die Physik, die wir nur erahnen. Etwa die unglaublich reichhaltige Strahlung, die sich unseren Augen entzieht, und all das, was es im Universum gibt, von dem wir keine Ahnung haben. Und da hilft uns auch kein Licht. Wir sind dafür nicht ausgerüstet. Wir erkennen nur das, was uns zum Weiter- und Überleben mitgegeben wurde durch die Evolution, unsere sog. Wirklichkeit. Einige Wissenschaftler sind zumindest so klug, dass sie durch die Messungen ihrer Apparaturen Dinge erkennen und mathematisch erfassen, von denen wir Normalos, salopp ausgedrückt, nur träumen können. Das ist die eine Seite, die uns durch Vernunft, Forschen, Intuition und Verstand mit Glück sich offenbart, es ist die wissenschaftliche.
Die andere Seite ist die, die in uns die Vorstellungskraft, den Willen, die Phantasie aktiviert und uns befähigt, über den Rand des Wissens hinauszudenken, zu fantasieren, zu bekräftigen und hinter die Dinge zu schauen, zu reflektieren und damit das Gegensatzpaar von Physik und Metaphysik zu schaffen. Nietzsche verwendet dafür die Begriffe „dionysisch“ als metaphysisches Denken und „apollinisch“ als den Gebrauch des Verstandes und stellt sie sich gegenüber.
Wo sind die Grenzen? Wohin führt uns Freimaurer das Licht, das uns Menschen Dinge tun und denken lässt, die mit den Begriffen von Wahrheit und Erkenntnis die Menschheit weiterbringen? Wie kam Einstein auf die Formel E = mc²? Wie war es möglich, dass Heisenberg auf die mathematischen Formeln für die Quantenphysik kam, die er als einfach und schön empfand? Wir stehen staunend vor dem Faust von Goethe. Was befähigt diese Menschen, einen Zugang zu verborgenen Zusammenhängen zu finden und damit das, was die Welt zusammenhält, zu entdecken? Wie groß muss das Licht in ihnen sein, welches sie zu diesen Dingen befähigt?
Aber es gibt auch das, das wir, wie Sigmund Freud es ausdrückt, durch unsere Innenwahrnehmung aufnehmen können, das unser Leben bereichert. Vorausgesetzt, dass wir apollinisch-rational unsere Vernunft einsetzen, weil nur die Vernunft, unser Verstand in der Lage ist, das Fantasiehafte, Dionysische reflexhaft in unser Leben zu integrieren. Nur so können wir das Metaphysische verstehen, begreifen, uns vorstellen oder erahnen.
Mit unseren Symbolen passiert genau dasselbe. Ihre Wirkung auf uns ist nicht direkt fassbar, aber trotzdem vorhanden. Sie haben einen spürbaren Einfluss auf unsere Psyche, beeinflussen unser Verhalten zumeist positiv. Das wiederum bewegt unser Bewusstsein und wandert durch die ständigen Wiederholungen dann auch in unser Unterbewusstsein. So werden diese Eindrücke letztlich zu unserem Selbst.
Wenn wir bewusst und ernsthaft an uns arbeiten, unseren rauen Stein bearbeiten, werden wir mit der Zeit ein Freimaurer-Meister, weil all diese Dinge uns zur Selbstverständlichkeit werden und uns prägen. Wir akzeptieren als Freimaurer das, was auf uns äußerlich und innerlich einwirkt: Denn wir befassen uns als Freimaurer mit ethischen Begriffen, wir reflektieren diese viel häufiger als profane Menschen, zumal uns in den Tempelarbeiten immer wieder die Wichtigkeit des ethischen Verhaltens vor Augen geführt wird, ebenso wie die Tugenden und die damit verbundenen inneren Werte, die von den Hammerführenden aufgerufen werden. All das macht aus einem profanen Raum einen heiligen Tempel mit den vielen Lichtern darin, die in uns das Licht der Humanität entzünden sollen. Es helfen uns die drei Lichter der Weisheit, Stärke und Schönheit auf den Säulen, unser eigenes Licht zu bewahren.
Ich weiß bis heute nicht, warum mich nach 25 Jahren als Freimaurer, manchmal mehrmals während einer Tempelarbeit eine Gänsehaut überrascht, weil mich die Situation im Innersten berührt. Winkelmaß und Zirkel haben offenbar ihre eigenen Gesetze, Wirklichkeit und Wirkung. Genauso wie die Symbole formen sie uns als Mensch, lassen uns über ihre Wirkung auf uns und den Bruder reflektieren, aber auch rätseln. Sie haben sowohl ihren metaphysischen Zauber auf uns als auch ihre Bewusstwerdung als Gesamtensemble, die nicht nur mich selbst, sondern auch den aufmerksamen Bruder berühren und zum Freimaurer machen. Eines darf allerdings nicht verschwiegen werden: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wir alle sind nur Menschen und damit fehlbar.
Zum Schluss erinnere ich an die weisen Worte des Meisters vom Stuhl aus dem Ritual: „Geht nun zurück in die Welt, meine Brüder, und bewährt Euch als Freimaurer, wehret dem Unrecht, wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken, seid wachsam auf Euch selbst. Es geschehe also – ziehet hin in Frieden!“